Geschichte LD-Verfahren

GGeschichte des LD-Verfahren – Broschüre von der VOEST-ALPINE STAHL

Am 27. November 1952 wurde im Stahlwerk LD 1 in Linz die erste Charge Stahl mit dem Verfahren hergestellt, das zu einer weltweiten Erfolgsgeschichte wurde.

Pioniergeist, Mut zum Risiko und ein Quäntchen Glück waren die Voraussetzungen, um einer neuen Idee auf die Sprünge zu helfen. Einer Idee, welche die gesamte internationale Stahlindustrie revolutionierte – und heute die Basis dafür bietet, dass der Werkstoff Stahl zu einem High-Tech-Produkt geworden ist.

Österreich liegt wie halb Europa in Trümmern und auch den Standort Linz der „Reichswerke Hermann Göring AG Berlin“ hat es arg erwischt. Tausende Bomben waren 1944 auf das neu errichtete Stahlwerk gefallen. Der Hafen, viele Werksanlagen und das Kraftwerk sind zerstört. 1945 hat die USA –als alliierte Besatzungstruppe in Oberösterreich – das Werk als „deutsches Eigentum“ beschlagnahmt. Ein Jahr später übergibt der amerikanische General Mark Clark die neu gegründete VÖEST „zu treuen Handen“ an Österreich. Doch die Zukunft des Unternehmens ist noch ungewiss.

Zu dieser Zeit denkt noch niemand daran, dass die VÖEST in Linz ein paar Jahre später zu einer der begehrtesten Reisedestinationen internationaler Stahlproduzenten werden sollte.

Dass das Know-how der Linzer Ingenieure zu einem der begehrtesten Güter werden wird, das sonst noch niemand auf der Welt besitzt: die Methode, wie man aus Roheisen Stahl schnell, kostengünstig und in vorher nie erreichter Qualität erzeugen kann.

Bis es dazu kommen sollte, beschäftigen die VÖEST aber vorerst andere Sorgen. Vom steirischen Erzberg kommt billiges Eisenerz, doch es fehlt an Strom, Koks und Kohle, um die Hochöfen und das Stahlwerk am Laufen zu halten. Pläne werden gewälzt, ob es nicht sinnvoller wäre, die gesamte Linzer Stahlproduktion einzustellen, den Standort aufzugeben. Ein Hochofen wird bereits an ein schwedisches Stahlwerk verkauft – mit dem Geld wird aber Kohle erworben. Die Entscheidung ist gefallen: Der Standort Linz soll erhalten bleiben, um die für den Wiederaufbau notwendigen Stahlmengen zu erzeugen. Der vorgegebene Plan ist ambitioniert: Gut zweieinhalb Mal so viel Stahl als bisher soll die VÖEST erzeugen, um die prognostizierte Nachfrage zu befriedigen. Mit einer einfachen Erweiterung der bestehenden Anlagen – langsam vor sich hin schwelende Siemens-Martin-Öfen und teure Lichtbogenöfen – ist das aber kaum zu schaffen. Unwirtschaftlich, meinen die VÖEST-„Kaufmänner“, als sie den Rechenstift beiseite legen.

In der Zentrale wird heftig nach Alternativen Ausschau gehalten. Die „Quadratur des Kreises“ wäre ein neues Verfahren, das eine größere Stahlproduktion in kürzerer Zeit ermöglichen würde.

In keinem Stahlwerk der Welt, das wussten aber alle, würde man dafür Beispiele finden, denn die einzig erfolgversprechende Variante, die das ermöglichen würde, ist erst theoretisch formuliert und in einigen Versuchen in der Schweiz und Deutschland getestet: der Einsatz von reinem Sauerstoff. „Weg mit dem Stickstoffballast, der mit normaler Luft in die Stahlbäder geblasen wird“, hatte etwa bereits einer der großen Metallurgen dieser Zeit, der Schweizer Robert Durrer, doziert. Reiner Sauerstoff würde seiner Meinung nach das Herstellungsverfahren beschleunigen und die Stahlqualität verbessern.

Schon Henry Bessemer, der im 19. Jahrhundert ein Windfrischverfahren für die Stahlerzeugung erfand, hatte über den Einsatz von reinem Sauerstoff nachgedacht. Aber erst Generationen später, im Jahre 1928, entwickelte die Firma Linde ein Verfahren, um reinen Sauerstoff in großen Mengen aufzubereiten. Die Metallurgen spornt diese Neuerung denn auch sofort wieder an. In Deutschland jagt ein Experiment das andere, 1939 wird von H. Schwarz sogar ein Patent für ein „Verfahren zum Behandeln von . Metallbädern mit Gasen“ angemeldet, nach dem Zweiten Weltkrieg führen der Deutsche Heinrich Hellbrügge und Robert Durrer weitere Experimente in der Schweiz durch.

Doch die Entwicklung einer neuen Verfahrenstechnik kommt über erste Grundlagenforschungen noch nicht hinaus, alle Versuche, ein produktionsreifes Verfahren zu entwickeln, waren in den Ansätzen stecken geblieben.

In Linz, wo die Nachkriegsjahre Metallurgen, Ingenieure und Kaufleute mit Pioniergeist und Mut zum Risiko zusammengeführt hatten, war die Sache aber klar: Die Zielvorgaben für die eigene Stahlproduktion waren so hoch, dass jede hoffnungsvolle Methode, auch wenn sie zuvor noch nie funktioniert hätte, versucht werden sollte. Zuerst versucht man das Nächstliegende: In den 200-Tonnen-Siemens-Martin-Ofen im Linzer Stahlwerk wird Sauerstoff aufgeblasen. Doch die Versuche scheitern, die Schmelze wird durch den aufströmenden Sauerstoff so stürmisch aufgewallt, dass sie die Ausmauerung zerstört – die Experimente werden eingestellt. Ein paar Monate später, im Mai 1949, kommt neue Hoffnung auf. Der Linzer Hüttendirektor Herbert Trenkler besucht Robert Durrer in Gerlafingen und besichtigt dessen bereits eingestellte Versuchsanlage.

Zurück in Linz berichtet er, „so“ könne man vielleicht weiterkommen.

Schon einige Tage später, am 3. Juni, beginnen neue Testserien. Jetzt verwenden die Forscher für die Sauerstoffblasversuche ähnlich wie die Schweizer eine kleine Bessemerbirne, in der zwei Tonnen Stahl erschmolzen werden können. Versuchskoordinator ist der technische Direktor Theodor Suess, verantwortlich für die betriebliche Versuchsdurchführung wird Herbert Trenkler, zuständig für die Qualitätsprüfungen ist Hubert Hauttmann. Die praktischen Versuchsdurchführungen obliegen Rudolf Rinesch gemeinsam mit dem Leiter des Stahlwerkes, Fritz Klepp.

Doch auf Anhieb will nichts klappen. Eine wassergekühlte Lanze wird in die Schmelze eingetaucht, der Sauerstoff über zwölf Flaschen zugeführt, deren Ventile – alle händisch auf Kommando – gleichzeitig geöffnet werden müssen.

Diese Absicht schlägt freilich fehl, die Charge friert ein. Rudolf Rinesch tobt. Die Versuchsleiter ziehen sich zurück, denken über Verbesserungen nach. Zuerst wird die Sauerstoffanlage umgebaut, um die technischen Möglichkeiten für eine vernünftige Zufuhr zu gewährleisten, die Versuche gehen weiter, bringen aber noch immer nicht die gewünschten Erfolge.

Wie überzeugt man dennoch von dem Verfahren ist, bringt der ehemalige Geschäftsführer der für die Lizenzvergabe zuständigen Brassert Oxygen Technik (BOT), Eduard Michaelis, mit einem Hauttmann-Zitat auf den Punkt: „Am 3. Juni 1949 war das Tor zu einer äußerst zukunftsträchtigen Entwicklung aufgestoßen.“

Und dann, plötzlich, als man schon meint, nicht weiterzukommen, kommt die entscheidende Idee. Das Versuchsteam verabschiedet sich von der etablierten Lehrmeinung, dass der Sauerstoffstrahl tief in das Bad eingeblasen werden müsse. Man vergrößert die Abstände der Lanze zum Bad, bläst den Strahl von oben und senkrecht mit sehr hoher Geschwindigkeit auf, ohne dass die Lanze Kontakt zur Schmelze hätte: Am 25. Juni 1949, nur 22 Tage nach dem ersten Versuch, fließt aus dem Tiegel die erste Charge von mit Sauerstoff geblasenem Stahl von hervorragender Qualität.

Der entscheidende Dreh war endlich gefunden und nach jahrzehntelangen Vorarbeiten endlich ein Verfahren in Sicht, das industriell, also für die Massenproduktion einsetzbar sein könnte.

Um zu überprüfen, ob sich die Ergebnisse auch im größeren Maßstab wiederholen ließen, wird aus einer Torpedopfanne ein 15-Tonnen-Versuchstiegel gebaut. Jeden Sonntag wurde nun in den folgenden Monaten bis zu 8 Chargen pro Versuchstag geschmolzen und dabei die Prozessführung optimiert (hauptsächlich Lanzenregelung). Aus dem Tiegel sprudelt Stahl von brillanter Qualität, problemlos weiterverarbeitbar und zehn Mal schneller erschmolzen als mit den zurzeit gängigen Standardverfahren. Als Robert Durrer über die positiven Versuchsergebnisse informiert wird, kann sich auch der erfahrene Sauerstoff-Metallurge diese Entwicklung nicht so recht erklären. „Der Stahl weist einen niedrigeren Gehalt an Kohlenstoff, Schwefel und Phosphor auf. Vermutlich ist die weitgehende Entfernung dieser Stoffe auf die höhere Temperatur, den damit verbundenen höheren Flüssigkeitsgrad und die daraus resultierende höhere Reaktionsgeschwindigkeit zurückzuführen“, schreibt er in einer Aktennotiz. Sein Schluss: „Diese Arbeiten zeigen eine neue Metallurgie, die wir zunächst kennen lernen müssen.“

Bei den LD-Experimenten protokollierten der sehr praktisch veranlagte Versuchsleiter Rudolf Rinesch und sein Team exakt mit, zu welchen Veränderungen es zu welchen Zeitpunkten kam.
Chargenverlauf des 15-Tonnen-Versuchstiegels aus dem Jahre 1949:

0,0 – 2,0 min 3.500 kg Schrott in den Tiegel gesetzt
2,0 – 5,0 min 13.000 kg flüssiges Roheisen eingeleert
5,0 – 7,0 min 750 kg gebrannter Kalk zugesetzt
7,0 – 9,6 min Tiegel wird zum Blasstand gefahren
10 min Blasbeginn (Normaldüse 24 mm),
Sauerstoffdruck auf 8 atü (9 bar) eingestellt
10,1 min Sauerstoff zündet, dunkelbrauner Rauch
18,0 min heftige Reaktion im Tiegel, Rauch wird heller
19,0 min hellbrauner Rauch
25,0 min ausströmende Flamme wird grellweiß
31,2 min Flamme wird kürzer, fällt in sich zusammen
32,3 min Tiegel wird in die Halle zur Arbeitsbühne gefahren.
Ein 100-Tonnen-Kran hebt den Tiegel aus dem Wagen und
kippt denselben, bis Schlacke Oberkante des Tiegels erreicht
37,5 –39,0 min Schlacken- und Stahlprobe werden genommen
39,0 – 43,7 min Behälter wird so weit gekippt, dass Schlacke ablaufen kann, Restschlacke wird mit gebranntem Kalk abgesteift
43,7 – 47,3 min Ausleeren des gefrischten Stahles in eine 30-Tonnen-Gießpfanne
(Zuschläge werden teils in den Tiegel, teils in die Pfanne zugesetzt)

Für das Versuchsteam waren die wichtigsten Fragen der Kaufleute klar beantwortbar: Das neue Verfahren liefert zumindest gleich gute Qualitäten wie ein Siemens-Martins-Ofen und ein Sauerstoffblas-Stahlwerk wäre billiger in Bau und Betrieb.

Doch ab jetzt geht alles Schlag auf Schlag: Am 9. Dezember 1949, nicht einmal ein halbes Jahr nach den ersten Versuchen, gibt Generaldirektor Heinrich Richter-Brohm grünes Licht für den Bau des ersten LD-Werkes in der Geschichte der Stahlerzeugung. 1950 werden vom technischen Direktor der VÖEST, Theodor Suess, die Patente für das neue Verfahren angemeldet und nicht ganz drei Jahre später, am 27. November 1952, wird der erste industriell nach dem Sauerstoff-Blasstahlverfahren gefertigte Stahl im neu erbauten Werk LD 1 in Linz abgestochen. Nicht ganz ein halbes Jahr später, am 22. Mai 1953, geht das LD-Stahlwerk in Donawitz in Betrieb. Wie man die Methode nennen soll, ist noch nicht ganz klar, von den verschiedenen Möglichkeiten einigt man sich dann schließlich auf L(inz)D(onawitz)-Verfahren.

An eine Aktennotiz Durrers anlässlich eines Zusammentreffens mit Theodor Suess erinnert sich Eduard Michaelis: „Veranlassung für die Besprechung ist das ausgezeichnete Resultat der Linzer Versuche, die nach Mitteilung von Herrn Suess alle Erwartungen übertreffen. Tatsache ist, dass dieser ausgezeichnete Stahl herzustellen ist, den Namen LD-Verfahren erhalten soll.“

Der Beginn für einen revolutionierenden Siegeszug eines neuen Verfahrens war gesetzt. Früh genug, um in der kommenden Zeit des Wirtschaftswunders erfolgreich punkten zu können.

„Roter Rauch ist aufgestiegen“

Ludwig Neuner kann sich an der 27. November 1952 noch gut erinnern. Gerade einmal ein paar Monate vor dem historischen Ereignis war der Absolvent der TU Graz in die VÖEST eingetreten: „Bei der ersten Charge stand ich im Leitstand, gleich neben dem Tiegel, und bediente unter Anweisung der Metallurgen die Sauerstofflanze. Ich habe mir nicht gedacht, dass da gerade eine Revolution in der Stahlerzeugung passiert. Roter Rauch ist aufgestiegen und beim Abstich sah man, dass sich die Schlacke vom Stahl schlecht trennen ließ. Da mussten wir alle schnell Kalk hineinschaufeln und uns wurde dabei ganz schön heiß. Hitzeschilde hat es damals ja noch nicht gegeben. Dass heute etwa 60 Prozent der Weltstahlproduktion mit dem LD-Verfahren hergestellt werden, hat sich wohl niemand gedacht.“

Rezept zur Stahlherstellung

Man nehme 115.000 kg Roheisen (flüssig), 2.500 kg Staubbriketts, 150 kg Tonerdeschlacke, 32.658 kg Schrott und 8.000 kg Kalk und blase 7.000 Kubikmeter Sauerstoff dazu. Für den richtigen Geschmack gebe man 1.200 kg Mangan-Silizium, 300 kg Calcium-Silizium, 200 kg Aluminium-Granalien, 50 kg Aluminiumdraht, 750 kg Ferro-Chrom, 100 kg Kohle, 1.500 kg Nickel, 800 kg Ferro-Molybdän, 450 kg Kupfer, 90 kg Ferro-Vanadium, 17 kg Ferro-Bor und 45 kg Ferro-Titan hinzu. Das Ergebnis: 140.000 kg bester Rohstahl.

Eine Flotte für die Skeptiker

Während die internationalen Stahlproduzenten von dem neuen Verfahren sofort begeistert sind, zeigen sich die Schiffswerften skeptisch. Ein neues Verfahren, eine neue Stahlqualität und besser als alles bisher Da gewesene? Während in Österreich LD-Stahl bald von der Normenkommission als neue Verfahrensweise für Eisenbahn, Bau und alle anderen Anwendungsbereiche zugelassen wird, wollen einige der Revolution in der Stahlerzeugung nicht so recht Glauben schenken. Besonders Versicherungsgesellschaften, die Hochseeschiffe versichern, zeigen sich zögerlich. Das sei zwar alles sehr revolutionär, aber mit Verlaub – so das Argument der Versicherer –, wer garantiere denn, dass LD-Stahl auch wirklich hält, was er verspricht?

Für die Hochseeschifffahrt zugelassen waren seit Jahrzehnten nur nach dem Siemens-Martin-Verfahren erzeugte Stähle. Stahl aus Thomas-Konvertern galt als minderwertig, da rostanfällig. Das LD-Verfahren wurde von den Gesellschaften kurzerhand der Gattung der „Windfrischstähle“ zugerechnet, die Innovation durch das Sauerstoff- Aufblasverfahren von noch recht zahlreichen Skeptikern angezweifelt.

Ingenieure wie Kaufleute der VÖEST hatten damals viel Erklärungsbedarf, um ihre Innovation in Sachen Stahl an den Mann zu bringen. Besonders die britische und die deutsche Lloyds-Versicherung zeigten sich bei der Anerkennung des innovativen Stahls aus Österreich zurückhaltend.

Die Abhilfe: Praktische Anwendungsbeispiele mussten her! Für Indien hatte die VÖEST bereits auf eigene Verantwortung 350 Lokomotiven aus LD-Stahl hergestellt, die von den indischen Staatsbahnen nachträglich auch tatsächlich zugelassen wurden. Für die Hochseeschifffahrt schien ein ähnlicher Ausweg gangbar.

Doch ein wenig resigniert stellte Herbert Trenkler damals fest, dass sich „in ganz Deutschland kein Reeder finden lässt, der das vermeintliche Risiko einzugehen bereit ist“. Notgedrungen wird die VÖEST selbst zum Reeder und baut die „Linzertor“ und in Folge noch drei weitere Schiffe komplett aus LD-Stahl.

Und das Beispiel überzeugte – 1958 hatte LD-Stahl die uneingeschränkte Zulassung aller internationalen Klassifizierungsbehörden!

„Suess konnte aber den Erfolg der von ihm vorangetriebenen Entwicklungen bei der VÖEST nicht mehr ernten“, bedauert Michaelis. Er kam bei einer Dienstreise am 6.3.1956 tragisch ums Leben.

Was das LD-Verfahren so interessant macht, bringt Eduard Michaelis auf den Punkt: 50% niedrigere Investitionskosten gegenüber einem Siemens-Martins-Ofenwerk und die Möglichkeit die Stundenkapazität enorm zu erhöhen.

Aufgrund von Lizenzverträgen ging im August 1954 in Hamoilton, Kanada, das erste LD-Stahlwerk in Nordamerika in Betrieb. Zwei Jahre später folgte in Pompey, Frankreich das Nächste. 1957 baute die VÖEST bereits selbst das erste LD-Werk im indischen Rourkela. Bis 1960 waren 18 LD-Werke weltweit erbaut, 1960/61 weitere 22 in Bau.

LD-Tiegel – innerhalb von 20 Jahren verzehnfachte sich das Fassungsvermögen auf 300 Tonnen.

In den 60er Jahren gab es für die Stahlproduzenten der Welt keine Frage mehr. Wer umbaute oder neu baute, gab dem neuen Verfahren den Vorzug. Die Statistiken zeichnen dafür ein eindeutiges Bild: Erreichte 1960 die gesamte Welt-Rohstahlproduktion mittels LD-Verfahrens gerade einmal vier Prozent, waren es 1970 bereits 40 Prozent. Innerhalb eines Jahrzehnts hatte sich der LD- Anteil verzehnfacht (heute liegt er bei etwa 60 Prozent). Das Verfahren selbst war dabei im Prinzip gleich geblieben. Verändert hatten sich die Größenverhältnisse. Alte Siemens-Martin-Öfen wurden stillgelegt, neue wurden nicht mehr gebaut.

In den Versuchen der VÖEST wurde sehr bald klar, dass der im basischen Konverter durch Aufblasen von Sauerstoff gefrischte Stahl stark verbesserte Eigenschaften aufweist, auch im Vergleich zum Siemens-Martin-Verfahren. Die in den ersten Betriebsjahren in Linz gewonnenen Erfahrungen bestätigten sich. Die stickstoffarmen LD-Stähle mit niedrigen Schwefel- und Phosphorgehalten, frei von unerwünschten Begleitelementen, verbessertem Reinheitsgrad sowie einstellbar im Endkohlenstoffgehalt, führten zu verbesserten technologischen Eigenschaften für die Warm- und Kaltverarbeitung sowie für das Schweißen. Das Festigkeits-, Zähigkeits- und Dauerfestigkeitsverhalten von Baustählen übertraf die entsprechenden Eigenschaften der Siemens-Martin-Stähle und eröffnete neue Möglichkeiten für Stahlverarbeiter. Die weitere Entwicklung von neuen Generationen von Stahlwerkstoffen wurde erst auf der Grundlage des LD-Verfahrens im Verbund mit einer angepassten Pfannenmetallurgie möglich.

Die betriebliche Einführung des LD-Verfahrens in Linz war der revolutionäre Beginn der Sauerstoffmetallurgie zur Stahlerzeugung, mit der weltweit mehr als 60 % des Rohstahls erzeugt werden. Die Kinetik der ablaufenden Reaktionen im Konverter bei der heute überwiegend angewandten kombinierten Blasweise führt zu einer bei der Stahlherstellung unübertroffenen Produktivität, die bisher selbst allen Versuchen zur kontinuierlichen Stahlerzeugung standgehalten hat. Entwicklungspotenzial besteht in der weiteren Erhöhung der Schrottsätze und damit zur Verringerung der CO2-Emissionen der Stahlerzeugung. Das LD-Verfahren ist die Basis für die Entwicklung neuer Generationen von Stählen mit verbesserten mechanischen Eigenschaften, Umformeigenschaften, Schweißeigenschaften und technologischen Kennwerten, die der Stahlanwendung erweiterte Möglichkeiten eingeräumt und die Konkurenzfähigkeit des Werkstoffes Stahl ungemein verbessert hat.

LD-VERFAHREN – Stand der Technik

Das Verfahren selbst ist in der Metallurgie prinzipiell abgeschlossen, doch die neuen Möglichkeiten der Prozesssteuerung durch Mikrochips und automatisierte Mess- und Sensortechnik machen plötzlich völlig neue Stahlsorten möglich. Computer werden zu den neuen Steuermännern an den LD-Tiegeln. Gefüttert mit den Erfahrungen der Pioniere und Online-Daten aus den ablaufenden Prozessen während des Schmelzvorganges können Stähle nun „mikrolegiert“ werden. Ob für hochwertige Stähle der Bauzulieferindustrie, oberflächenveredelte Bleche für Haushaltsgeräte oder den Karosseriebau in der Automobilindustrie: Die für den Herstellungsprozess notwendigen Legierungsanteile können auf ppm genau gesteuert werden.

Die Entwicklung ist dabei heute schon so weit, dass neue Prozesse vorab in Hochgeschwindigkeitsrechnern perfekt simuliert werden können.

Dabei erstrecken sich die Anwendungsmöglichkeiten für die sogenannte „Computermodellierung“ über den gesamten Produktionsbereich bis hin zur Werkstoffverarbeitung. Die Prozessauto-matisierung ist dabei schon so ausgeklügelt, dass sie „von Hand“ nicht mehr beherrschbar ist und digitale „Experten“ beispielsweise die Ebenheitsregelung beim Kaltwalzen übernommen haben.

Simuliert werden kann beispielsweise aber auch, wie sich Bänder während des Glühens und Beschichtens verhalten, wie Blech auf Umformungsprozesse während der Produktion reagiert oder diverse Bauteile sich während eines Crashs verhalten. Als High-Tech-Kriterium gilt, dass der Werkstoff Stahl besonderen Anforderungen genügt. Er muss sich gut verarbeiten lassen, korrosionsbeständig sowie umformbar sein und Oberflächenbeschichtungen müssen darauf gut haften.

Vergleicht man die Zeit, die theoretisch zur Produktion von 500 Millionen Tonnen Stahl mit einer bei den verschiedenen Verfahren verwendeten Produktionseinheit erforderlich ist, hätte es je nach der relativen Produktionsmenge mit dem Thomas- oder dem Herdfrischverfahren fünf bis vierzehn Mal so lange wie heute gedauert, um dieselbe Menge Stahl zu erzeugen. Außerdem wären auch viel mehr Anlagen und somit Industriegelände, Installationen bzw. Arbeitskräfte erforderlich.

Als besondere metallurgische Fragestellung wurde in den 50er Jahren die Verarbeitung des phosphorreichen Roheisens aufgegriffen. Diese Entwicklungen waren durch das LD-AC-Verfahren (Belgien, Luxemburg), OLP-Verfahren (Frankreich), Kaldo-Verfahren (Schweden) sowie in Deutschland durch den Graef-Rotor in Oberhausen und das PL-Verfahren in Duisburg-Ruhrort gekennzeichnet. Vorhandene Thomas-Konverter konnten mit dem PL-Verfahren (Phönix-Lanze) von Phönix-Rheinrohr weiter genutzt werden, um mit dem Windfrischen einen zum Sauerstofffrischen fast gleichwertigen Stahl mit niedrigen Stickstoff- und Phosphorgehalten zu erzeugen. Dabei wurde das Bodenblasen unterbrochen, solange noch ausreichend hohe Kohlenstoffgehalte in der Schmelze vorhanden waren (0,2 bis 0,3 % C). In liegender Stellung des Konverters wurde dann eine Lanze eingefahren, mit der reiner Sauerstoff eingeblasen und eine FeO-reiche Entphosphorungsschlacke erzeugt wurde. Danach wurde die Spülwirkung der Entkohlung im erneut hochgestellten Konverter genutzt, um die niedrigen Stickstoffgehalte zu erreichen.

Mit dem bodenblasenden Sauerstoffverfahren (OBM-Verfahren) wurde Ende der 60er Jahre, ausgehend von der Maxhütte in Sulzbach-Rosenberg, eine weitere Variante der Sauerstoffmetallurgie erfolgreich eingeführt, nachdem mit dem Einsatz von Kohlenwasserstoffen das Problem der Kühlung der Bodendüsen gelöst werden konnte.

Das erste Sauerstoffaufblas-Stahlwerk wurde in der BRD im April 1957 im Gußstahlwerk Witten des Bochumer Vereins mit einer Kapazität von ca. 5 Mio. t/a in Betrieb genommen, das letzte Thomas-Stahlwerk erst 1981 in Völklingen stillgelegt.

Zu diesem Siegeszug des LD-Verfahrens haben auch die in der Folge weltweit erfolgreich weitergeführten Maßnahmen zur Optimierung der Prozessführung beigetragen:
Einführung der Sublanze zur verbesserten Automatisierung des Verfahrens
Entwicklung von dynamischen Prozessmodellen, damit Erhöhung der Treffsicherheit und Reproduzierbarkeit von Temperatur und chemischer Zusammensetzung der Schmelze bei Blasende
schlackenfreier Abstich
sowie insbesondere die Ende der 70er Jahre eingeführten kombinierten Blasverfahren mit zusätzlichem Rühren und Spülen der Schmelze mit Inertgas durch den Konverterboden.
Ein Beispiel für eine Entwicklung in Deutschland ist das TBM-Verfahren von Thyssen Stahl.

Kalkverbrauch und Schlackenmengen sowie Eisengehalte der Schlacke konnten bei gleichzeitig niedrigeren Phosphorgehalten des Stahls weiter verringert werden, verbunden mit einem um 0,5 bis 1 % höheren metallischen Ausbringen.